
Bevor ich dazu kam, mich über meinen eigenen Ausbruch zu ärgern, war Finn auch schon bei mir, griff nach meiner Schulter und fauchte mich an. Sein Griff wurde so fest, dass ich zischend Luft holte und einen Schlag befürchtete, doch er stieß mich wutentbrannt von sich. Dann kam er erst so richtig in Fahrt, schrie mich an und stieß nochmal mit Asher zusammen, der sich uns genähert hatte. Der Boden bebte, als Finn die Kontrolle über seine Kräfte verlor und ich verlor kurz das Gleichgewicht. Asher ergriff meinen Oberarm und bewahrte mich vor einem Sturz, bevor er Anni und mich unter einem Steinbogen in Sicherheit brachte. Kleine und größere Steine rieselten von der Decke herab und fielen zu Boden.
Asher eilte zurück und holte Finn, der Bewusstlos war. Als er wieder bei uns war, war seine Schläfe von etwas glitschigem überzogen. Blut! Er wollte sofort wieder aufbrechen und nach Bran suchen. Anni sprang auf und beschloss, ihm zu helfen, aber ich hatte andere Pläne. „Wartet!“
Ich rappelte mich ebenfalls auf und stoppte Asher, indem ich vor ihn trat, sein Gesicht in beide Hände nahm und so drehte, dass ich die Wunde in dem wenigen Licht sehen konnte. Entweder war er zu überrascht, um sich zu wehren oder zu schwach. Viel konnte ich nicht sehen, also ertastete ich vorsichtig die Wundränder und runzelte dann die Stirn.
„Es ist nicht so schlimm wie ich zuerst befürchtet habe, aber schlimm genug. Du kannst gleich nach Bran suchen gehen. Es hilft weder ihm noch dir, wenn du auf halber Strecke zusammenbrichst.“ Ich sprach in dem bestimmenden Tonfall, der die meisten Patienten sofort und ohne Widerstand meinen Anweisungen folgen ließ. „Setz dich!“ Gleichzeitig wandte ich ein wenig sanfte Gewalt an um ihn auf einen der größeren Trümmer zu setzen. „Halt kurz still, dann darfst du gerne nach Bran suchen gehen. Und wenn du Luca findest, bring ihn gleich mit!“
Mit schnellen Handgriffen riss ich saubere Stoffstreifen von meinem Untergewand und verband ihm vorläufig die Wunde, damit er sich in dem Staub hier nicht noch mehr Dreck einfing. „Sobald wir hier raus sind, musst du das richtig behandeln lassen. Mehr kann ich vorerst nicht tun. Sorg dafür, dass du den Verband nicht verlierst.“
Bevor er noch die Geduld mit mir verlor, ließ ich nun von ihm ab, trat einen Schritt zurück und wandte mich seufzend Finn zu. „Ich halte es für eine dumme Idee, sich aufzuteilen, aber es bleibt uns nichts anderes übrig. Ich werde hier bleiben und Finn zusammenflicken. Er scheint auch von irgendetwas getroffen worden zu sein. Wenn ihr den Ausgang findet, schickt jemanden, um uns zu holen, okay?“
Ich blickte zu dem bewusstlosen Finn und überlegte, ob ich ihn fesseln sollte, damit er mir für meinen dummen Kommentar nicht doch noch eine reinhaute. Andererseits würde ihn das bloß nur noch mehr reizen und wir brauchten kein weiteres Erdbeben. Mit einem erneuten Seufzen kniete ich mich neben ihn und kontrollierte seinen Kopf in der Hoffnung, dass er noch nicht so schnell wieder aufwachte.
Ich erwachte in vollständiger Dunkelheit und einen Moment lang packte mich die Panik. Ein starker Wind rauschte von irgendwoher durch den Keller und erzeugte ein lautes Rauschen. Ich spürte einen heftigen Stich im Kopf aber das half mir, mich zu beruhigen. Richtig, ich war in ein Loch gefallen. Mit einem Stöhnen rappelte ich mich auf und versuchte, wenigstens Umrisse zu erkennen. Ich glaubte, eine Treppe ausmachen zu können und mir war, als hätte ich eine vertraute Stimme gehört?
„Gabriel?“, rief ich daher einfach nach oben.
Eine Antwort blieb erstmal aus. Vielleicht hatte er mich nicht gehört. Der Boden begann zu beben und Steine regneten von der Decke. Mit großen Augen schaffte ich es auf alle Viere und krabbelte zur Treppe. Als ich dort war, hörte das Beben auf und ich war nur von ein paar kleinen Steinen getroffen worden. Vermutlich würden die Wunden zwischen all den anderen Schürfungen und blauen Flecken eh nicht mehr auffallen. Einen Moment lang wünschte ich mir, Enngelin wäre hier und würde mich in den Arm nehmen. Oder Serena, man durfte in solchen Situationen wohl nicht zu wählerisch sein. Dann aber fiel mir wieder ein, dass ich mich vor den beiden versteckte und beschloss, dass Gabriel auch okay wäre. Ich schniefte.
Heulen brachte mich auch nicht weiter. Ärgerlich wischte ich mir die Tränen von der Wange und ertastete die Treppe. Wenn ich sie erklimmen könnte, wäre ich zumindest in einem Teil der Ruine, in dem ich etwas sehen konnte. Langsam und vorsichtig ertastete ich die Treppe und begann, sie noch oben zu steigen.