
Ich hatte beschlossen, mit Finn gemeinsam das Fest aufzusuchen. Seitdem Aneela weg war, ging es ihm zunehmend schlechter und ich wollte, dass er sich wenigstens einmal entspannen konnte und sich auf etwas freuen konnte. Die Feierlichkeit war dazu die perfekte Gelegenheit, weshalb wir nun gemeinsam hier standen und die ausgelassene Stimmung genossen. Während Finn sich etwas zu trinken besorgte, beobachtete ich weiter die Menschen hier. Kurz fühlte ich mich in die Nacht am See zurückversetzt. Die vielen Azallen und die Fakeln, die hier aufgestellt waren, riefen alte Erinnerungen wach. Damals hatte der Abend schön begonnen, endete jedoch in einem Massaker. Es gab einige Tote und die Azallen mussten sich eine neue Unterkunft suchen, denn sie waren in ihrem eigenen Dorf nicht mehr sicher gewesen. Um die Sicherheit heute bei diesem Fest zu gewährleisten, wurden mehrere Wachen eingeteilt, die die Gegend auskundschafteten und uns bei Gefahr rechtzeitig warnen würden.
Aneela hatte mir bereits vor einigen Monaten mitgeteilt, dass ich zu ihrem Volk gehörte. Dass ich eine Azalle war. Ich wusste nun, wieso ich mich von Anfang an so wohl an der Seite der Azallen gefühlt hatte. Hier war mein Zuhause und hier war ich glücklich. Noch glücklicher machte mich jedoch die Tatsache, dass sich auch Gabriel dazu entschlossen hatte, bei den Azallen zu leben. Er war mein Cousin und ich wüsste nicht, was ich ohne ihn machen sollte.
Ich lächelte fröhlich. Niemals hätte ich auch nur zu träumen gewagt, dass ich mich so geborgen fühlen konnte. Ein glückliches Pärchen lief an mir vorbei. Manchmal konnte ich immer noch nicht glauben, dass hier solch ein Zusammenhalt herrschte. Selbst nachdem die Azallen so viel mitgemacht hatten, gaben sie die Hoffnung niemals auf und ich bewunderte ihre lebensfrohe Art.
„Amüsierst du dich?“, hörte ich jemanden hinter mir sagen und erfreut wandte ich mich Kilian zu. „Ja, es ist einfach wunderbar.“, erwiderte ich und sah mein Gegenüber lächelnd an. „Ich finde die Feste hier so schön. Allein schon die Mühe, die man sich hierfür macht, ist einfach bemerkenswert.“, fügte ich noch hinzu.
Aus dem Augenwinkel konnte ich erkennen, dass Finn mit einem Krug Bier in der Hand zurückkam. Ich wusste, dass Kilian und Finn nicht gerade beste Freunde waren, aber bevor ich noch etwas unternehmen konnte, stand Finn bereits neben mir und begrüßte Kilian kaltherzig. „Hast du nichts zu tun? Seit wann hast du denn genug Zeit, in der Gegend rumzulungern?“, sagte er und ich schluckte. „Finn…“, fing ich an, doch der Mann schien noch nicht zu Ende gesprochen zu haben. „Du bist doch unser toller Anführer, seit neuestem. Werd dem Titel gerecht.“ Ich wusste, dass Finn zu weit gegangen war. Mit Kilian zu streiten war eine Sache, aber Kilian als Anführer schlecht zu machen, ging eindeutig zu weit. Er gab sich viel Mühe und versuchte sein Volk zu beschützen und zu unterstützen. Finn lebte hier in Sicherheit und das hatte er auch Kilian zu verdanken.
„Kilian ist ein toller Anführer, ja. Außerdem lungert er nicht in der Gegend herum, er erkundigt sich nach dem Wohlergehen der Azallen hier. Und er ist nicht nur ein Anführer, sondern auch ein Mensch, der es verdient hat, Spaß zu haben. Kilian hat genug Vorbereitungen getroffen um das Fest so sicher wie möglich zu gestalten, also hör auf, dich über ihn zu beschweren.“, sagte ich zu Finn und berührte nebenbei sanft Kilians Arm. Ich wollte Finn nicht wirklich so angehen, aber ich fand sein Benehmen einfach nicht in Ordnung. Finn hatte kein Recht, so über Kilian zu reden, für ihn ist es in letzter Zeit auch nicht immer rosig gelaufen und trotzdem gab er sein Bestes. Natürlich war Finns Leben auch nicht gerade einfach und in ihm gab es so viel aufgestaute Wut, die er einfach nicht selbst im Zaum halten konnte. Aber Kilian trug nicht Schuld an Finns Unglück. Dass Aneela weggegangen war, war für uns alle nicht einfach gewesen. Kilian hatte seine Schwester gehen gelassen, Finn seine erste und einzige große Liebe und ich eine gute Freundin. Trotzdem hatte niemand ein Recht, sich so aufzuführen.
"Finn, hör zu, können wir das Fest nicht einfach nur genießen? Heute wollen wir doch alle Spaß haben und für einen Moment unsere Sorgen vergessen.", fügte ich dann noch ein wenig beruhigend hinzu. Ich wollte nicht, dass Finn auf mich wütend war, aber gleichzeitig konnte ich nicht zulassen, dass er Kilian beleidigte.

Ich wusste nicht, was die Azallen an so Feierlichkeiten fanden. Ich verstand überhaupt nicht, wie man so etwas mögen konnte. Hier waren einfach viel zu viele Menschen und viel zu wenig Alkohol um das Fest heil zu überstehen. Natürlich könnte ich einfach so verschwinden, aber es wäre sehr unhöflich gewesen. Nun ja, im Normalfall wäre es mir ja egal, was andere Leute von mir hielten, aber Enngelin hatte mich vor Beginn des Festes zur Seite gezogen und mir gesagt, dass ich zumindest anfangs hierbleiben musste. Und in gewisser Weise hatte sie ja auch Recht, ich gehörte nicht wirklich zum Volk der Azallen und trotzdem durfte ich hier leben also war ich ihnen in gewisser Weise zum Dank verpflichtet. Und da ich einfach nicht der Mensch war, der mir nichts dir nichts „danke“ sagte, würde ich wohl die Azallen mit meiner Anwesenheit beglücken müssen. Ich holte mir noch einen Krug Bier um mir die Zeit zu vertreiben. Ich konnte es kaum erwarten, bis die Feierlichkeiten endlich zu Ende waren. Dann hatte ich endlich wieder meine Ruhe.
Ich dachte kurz an die vergangen Monate. Es war viel geschehen und ich war mir sicher, dass einige der Azallen die Ereignisse bis heute noch nicht richtig verarbeitet hatten. Gerade Aneelas Verschwinden war für viele Azallen nicht nur belastend, sondern auch ein großer Schock gewesen. Obwohl ich Kilian bis dato nicht ausstehen konnte, so hatte ich doch Mitleid mit ihm, weshalb ich ihm gegenüber nicht mehr ganz so abgeneigt war. Natürlich mochte ich es noch immer nicht, wenn er bei meiner Cousine herumlungerte, aber Enngelin hatte mir deutlich gemacht, dass ich mich da nicht einzumischen hatte. Pff, als wäre sie eine erwachsene Frau und könnte das selbst entscheiden.
Ich musste leicht schmunzeln, als ich einen kleinen Blondschopf sah. Ich bewegte mich auf den Jungen zu und sagte: „Solltest du nicht schon längst im Bett sein? Es ist dunkel und spät und du solltest wirklich schon längst schlafen.“ Ich grinste leicht. Luca war ein kleiner Lausbub und er kam wirklich mit allem durch. Natürlich würde ich nicht derjenige sein, der ihn in sein Zimmer zurücksteckte, ich war doch nicht so ein spießiger Kerl, der den Kindern jeglichen Spaß verdarb. Und irgendwie war seine Anwesenheit das einzig Erheiternde im Moment und ich fragte mich, was er gerade für einen neuen Unsinn ausheckte.