
„Ich tue jetzt mal so, als würde ich mich nicht angesprochen fühlen.“ Violett klang wie ein Wasserfall und ich warf ihr einen stirnrunzelnden Blick zu. Sie hatte die Hände wieder hinter dem Rücken versteckt. Kaum zu glauben, dass ausgerechnet ein chaotischer Dämon wie sie ständig und immer wieder auf solche Unschuldsbezeugungen zurückgriff.
„Sag mal, müssen wirklich alle anwesend sein, um den Schutzzauber eines Siegels zu lösen? Ich will ja nicht drängeln, aber so wie es aussieht, haben wir uns bereits ein Siegel durch die Lappen gehen lassen. Und ich weiß ganz zufällig, wo sich noch eins befindet. Der Freund eins Freundes, eines Freundes hat‘s mal von einem Bekannten gehört. Glaube ich.“
Ich starrte Violett an und ließ langsam die Hand sinken. War das ihr verdammter Ernst?
„Wie, du weißt wo ein Siegel versteckt ist?“, sagte ich ungläubig, ohne den Blick abzuwenden. „Warum sagst du das nicht früher!“ Ich strich mir die Haare nach hinten und stand auf. „Wir sollten Lana suchen und die anderen zusammen suchen.“ Davon ausgehend, dass sie mir folgte, ging ich voraus. „Ich denke nicht, dass für jedes Siegel die Teilnahme aller benötigt wird“, erklärte ich nebenbei, während ich nach einem unbeantworteten Klopfen an Tristans Tür besagte Tür öffnete und wieder schloss, da niemand darin war. „Aber für viele Siegel werden wir alle benötigt. Das ist der Grund, warum wir so viele sind...und so unterschiedlich.“ Ich schnalzte ungeduldig mit der Zunge, meine Stimme aber blieb ruhig. „Das Siegel, nachdem die beiden Dämonen mit dir und Caim ersetzt wurden, hätte gelöst werden sollen, indem jeder von uns ein Geheimnis preis gibt. Ich weiß nicht, wie der Nephilim es schafft, die Siegel an sich zu nehmen. Aber wir haben es nicht bekommen, weil sie Rajani und Iloru sich schlichtweg geweigert haben.“ Stimmen aus der Küche. Ich wandte mich in diese Richtung. Ich war insgeheim froh, dass sie diese Farce abgebrochen hatten, denn ich hatte keinerlei Interesse daran, meine Geheimnisse offen zu legen. In der Küche trafen wir auf Arifahr und Tristan. „Violett sagt, sie wüsste, wo ein Siegel versteckt ist.“

„Ich bin der Meinung, dass sich Lana nur aufspielen möchte. Ihre ständige Nörglerei und ihre besserwisserische Art machen sie nicht gerade sympathisch. Naja, abgesehen davon, dass ich Engel schon allein wegen ihrer Herkunft nicht leiden kann“, meinte Tristan.
Ich fuhr mir mit einer Hand durch die Haare. „Ihr Chefgehabe geht mir auch auf die Nerven“, murmelte ich. Allerdings hatte ich inzwischen leichte Bedenken, was die Engel anging, für die ich mich ein wenig schämte. Als Dämonin sollte ich nicht darüber nachdenken, ob ich ihnen damit gerecht wurde oder nicht. Das war schlichtweg abnormal.
„Außerdem würde ich nur allzu gerne Gewalt anwenden. Caim spielt sich auch so auf, als würde er hier das Sagen haben. Wieso sind hier nur Leute, denen man am liebsten ins Gesicht schlagen möchte?“, sagte er. Ich warf ihm einen kurzen Blick zu. Unsere Blicke trafen sich. „Naja, fast…“
Ich musste schmunzeln.
„Wenn wir bei Caim wirklich handgreiflich werden sollten, dann denke ich, dass genug Leute hier nur zu gerne auf ihn einschlagen möchten“, fügte er hinzu.
Ich nickte. „Ja, vermutlich. Hoffen wir, dass er danach noch in der Lage ist, bei den Siegeln behilflich zu sein, ansonsten kann man ihn in die Tonne treten. Und ich weiß nicht, ob wir nochmal Ersatz bekommen. Vernünftigen diesmal.“
Gabriel kam herein und ich ließ den Blick zu meinem Teller schweifen. Wenn er vorhatte, mir jetzt eine Gardinenpredigt über Hausordnung zu halten, schwor ich mir, ihm persönlich eine reinzuhauen. Dafür hatte ich momentan nicht die Nerven. Stattdessen aber erzählte er etwas höchst interessantes, was mich die Stirn runzeln ließ.
„Violett?“ Ich blinzelte. „Das ist ein Scherz, oder?“ Mir fiel ein, dass Gabriel die witzloseste Person war, die ich kannte. Ich biss mir auf die Lippe.
„Ach Scheiße, dann dürfen wir jetzt Lana und Caim wiederfinden und einsacken, falls wir sie brauchen.“ Ich verdrehte die Augen und sah dann Tristan an. „Dein Wunsch könnte schneller in Erfüllung gehen als du denkst. Weiß jemand, wo Caleb und sein Engelchen ist?“