
Während wir gemeinsam die Richtung einschlugen, aus der wir vor nicht allzu langer Zeit gekommen waren, dachte ich über Aneelas vorige Worte nach. Ich konnte mir vorstellen, dass sie gerade viel zu erledigen hatte. Vor allem in Anbetracht der Ereignisse der letzten Tage und der Tatsache, dass sie die Verantwortung über die hier lebenden Menschen irgendwie schultern musste. Vorerst würde ich ihr Angebot wahrscheinlich annehmen. Sie war bisher die einzige Person im Lager, der ich Vertrauen entgegenbrachte. Außerdem hatte die Aussicht sie nachher auf andere Gedanken bringen zu können etwas Tröstliches an sich. Ein Teil von mir begrüßte es mehr Zeit mit der Dunkelhaarigen verbringen zu können und mehr über sie zu erfahren. Aber zunächst musste ich wohl meine Wehwehchen versorgen lassen.
Wie nicht anders erwartet dauerte es nicht lange, bis sich erneut eine Menschentraube um uns herum versammelte. Diesmal konnte ich jedoch manche der Gesichter zuordnen. Da war zum Beispiel der grimmig dreinblickende Verwandte von Enngelin, der seine Freude darüber ausdrückte, dass wir bei unserer Reise keine Gliedmaßen verloren hatten.
„Seid ihr schwer verletzt?“ Anscheinend gab es die beiden meist im Doppelpack. Sichtlich besorgt zwängte die Heilerin sich zwischen einigen der Anwesenden hindurch und musterte uns kurz von Kopf bis Fuß, ehe sie ihrer Erleichterung und Sorge durch weitere Worte Ausdruck verlieh. „Es könnte schlimmer sein. Aber ist wohl nochmal gut gegangen.“, erwiderte ich ehrlich und mit einem schiefen Lächeln, als auch schon die nächste Person auftauchte und Aneela in die Arme schloss. Diesmal konnte ich die Züge der jungen Frau jedoch nicht zuordnen. Kurz spürte ich ihren Blick auf mir, dann stellte sich die Fremde bereits vor.
„Ich glaube, wir hatten noch nicht das Vergnügen. Ich bin Pola.“„Ethan.“, entgegnete ich ein wenig perplex, ohne mein Lächeln dabei abzuschwächen. „Nein, ich komme nicht von hier. Bin auf Durchreise. Die Kerker des Schlosses in Cerandíl kann ich jetzt von meiner Sightseeing Liste streichen… würde ich niemandem empfehlen. Ziemlich mangelhafter Service dort.“
Kaum, dass die Worte meine Lippen verlassen hatten, bat Aneela die Brünette bereits darum mich zu einer gewissen Serena zu begleiten. So, wie es aussah, hatte sich Enngelin in den letzten Tagen ziemlich verausgabt. Nachdenklich wanderten meine Augen zu der Frau, die tatsächlich nicht sehr erholt wirkte. Ich zweifelte nicht daran, dass sie ihre eigene Gesundheit gefährdete, um den Verletzten im Lager zu helfen. Schließlich hatte sie mir damals am See auch ohne jegliche Widerworte geholfen. Sie war sogar so weit gegangen ihre Fähigkeiten einem Fremden zu offenbaren. Anscheinend waren die Damen in dieser Stadt im Allgemeinen ziemlich leichtsinnig.
Dieses Stichwort verleitete mich automatisch dazu mich nach dem unvernünftigsten Wesen umzusehen, welches mir bisher untergekommen war. Kurze Zeit später machte ich Aneela etwas abseits bei ihrem Bruder und einem weiteren Mann aus. Die beiden wirkten ziemlich vertraut. Und zu meiner eigenen Überraschung war ich mir nicht sicher, ob mir diese Tatsache gefallen wollte oder nicht. Anscheinend hatte ich während meiner Gefangenschaft mehr Schaden genommen, als vermutet. Stirnrunzelnd lenkte ich meine Aufmerksamkeit zurück zu den Damen an meiner Seite und schenkte ihnen ein entschuldigendes Lächeln.
„Okay. So, wie es aussieht, bin ich gerade auf euch angewiesen. Ich brauche jemanden, der sich meiner annimmt. Wie hieß sie nochmal… Serena? Wo finde ich die Gute?“
Mein fragender Blick wich recht schnell einer schuldbewussten Miene, als ich mich daran erinnerte, dass es etwas gab, was ich der Heilerin offenbaren musste. Kurz kratzte ich mich am Hinterkopf, ehe ich meine Augen auf die Frau richtete und zu erläutern begann.
„Achja… ich entschuldige mich jetzt schon für die Unordnung, die wir in deiner Hütte hinterlassen haben. Wir mussten wegen mir und meinem kümmerlichen Zustand dort nächtigen und… naja… du wirst es ja sehen… für mögliche Schäden übernehme ich natürlich die Verantwortung.“