
Eine Heilerin. Wie lange gab es die denn schon? War sie schon immer da gewesen? Rowan wagte sich nicht, Tristan danach zu fragen, aus Angst, er könnte ihn auslachen oder ihm Unzurechnungsfähigkeit andichten. Rowan wollte erst einmal abwarten, bis ihn jemand untersucht hatte. Vielleicht hatte er ja wirklich einen Schlag auf den Kopf abbekommen, der seinem Resthirn Schaden zugefügt hatte. Wahrscheinlich musste er diese Enngelin nur einmal sehen, um sich an sie zu erinnern, falls er sie kannte natürlich nur. Trotzdem hatten seine schmerzenden Glieder, sein pochender Kopf und seine stechenden Seiten keine Lust, auf diese Person zu warten und war froh, dass Tristan zustimmte, mit ihm zum Zelt zu gehen, wo man die Kranken und Verletzten unterbrachte. Deshalb humpelte er weiterhin neben dem Kerl, der gleich als Kratzbaum und Beißholz dienen durfte, her und ließ seinen Blick erst vom Weg abschweifen, als er sah, dass Tristan etwas aus seiner Hose kramte. Rowan konnte nicht genau erkennen, was es war, aber er meinte einen kleinen Anhänger oder so etwas in der Art zu erkennen. Tristan trug Schmuck? Seit wann das denn? Und woher hatte er das überhaupt?
"Wunderschön", kommentierte der Brünette und grinste, "Die steht dir bestimmt ausgezeichnet. Ein Geschenk? Einer Verehrerin vielleicht? Du solltest etwas mit Ausschnitt anziehen, damit sie auch richtig zur Geltung kommt. Hey, ich kann dich in die Taverne mitnehmen und du tanzt zu meinen Liedern! Wir kämen mit einem großen Sack voller Goldstücke zurück. Und wir wären die Helden hier. Denk darüber nach!"
Die einzige Person, die sonst noch außer Rowan selbst beinahe tagtäglich in der "Torkelnden Ente" aufhielt, war Astraea, die es sich scheinbar zur Aufgabe gemacht hatte, so ziemlich jede Person in ganz Cerandil beim Kartenspielen abzuziehen. Aber Rowan bezweifelte, dass sie Lust hatte, sich in ein hübsches Kleid zu werfen und den Blickfang für irgendwelche gaffenden Betrunkenen zu spielen...
"Doch", entfuhr es Rowan überrascht, als er nach einer gefühlten Ewigkeit und schmerzendem Fuß vor dem Zelt zu stehen kam, "Darum wollte ich doch, dass du mitkommst! Denkst du, ich lasse diese Untersuchung über mich ergehen, ohne, dass jemand da ist, der mir sagt, dass alles bald vorbei ist und wie männlich und tapfer ich bin? Vergiss es. Los, rein da!"
Grinsend schob Rowan seine Begleitung also ins Zelt und war recht überrascht zu sehen, wie voll es war. Beinahe überall lagen, saßen und lehnten irgendwelche Verletzten und Kranken. Manche sahen wirklich aus, als würden sie aus dem letzten Loch pfeifen. Ein wenig betreten schwand das Grinsen aus dem Gesicht des Barden. Er konnte sich nicht daran erinnern, schon einmal so viele Leute auf einmal hier drinnen gesehen zu haben... Und irgendwie meinte er, dass die meisten Verletzten von diesem Angriff der Totenfeier kamen, die ziemlich eskaliert war. Kurz fragte Rowan sich, ob er nicht einfach wieder umkehren sollte. Sicherlich hatten die, die die Kranken und Verletzten hier betreuten, alle Hände voll zu tun und gar keine Zeit, sich um seine Wehwehchen zu kümmern. Er könnte sich einfach in sein Zelt zurückziehen und sich nochmal hinlegen, hoffen, morgen würde alles wieder gut (oder zumindest besser) sein.
Gerade, als er Tristan bitten wollte, ihn zurück zu seinem Schlafplatz zu begleiten, kam aber auch schon ein allen bekannter, schlaksiger und leicht blasser Typ auf sie zu, der übermüdet, überfordert und auch.... ziemlich traurig und bedrückt aussah, wie Rowan feststellen musste.
"Seth?", entwich es ihm überrascht und sein Gegenüber nickte. Gut, Rowan hätte es nicht wundern sollen, dass der Sohn von Margerie Ahnung von Medizin hatte, aber dennoch hätte er ihn hier nicht erwartet. Es hätte auch nicht viel gefehlt, dann hätte Rowan gefragt, was er denn hier tat und dass er vielmehr seine Mutter hier erwartet hatte, konnte es sich aber gerade noch so verkneifen. Stimmt, Margerie war ja...
Rowan schluckte den Klos im Hals, der sich gebildet hatte, herunter.
"Mein Beileid, Seth...", wisperte der Barde und der Blonde nickte schwach.
"Komm, setz dich Rowan", sagte dieser mit bedrückter Stimme und wies auf eine Liege. Rowan folgte dieser Anweisung und ließ dich nieder, sah den hageren Seth an, der aus einem Beutel einige Kräuter herausnahm und begann, diese mit Mörtel und Stößel zu zerdrücken. Würde wohl eine Art Paste werden. Die aufgetragen werden musste. Auf seine Verletzungen. Direkt drauf auf die nackte, verletzte Haut.
Unwillkürlich tastete Rowan nach Tristans Hand und begann, diese bereits jetzt leicht zu drücken.
"Das wird wehtun. Sehr sehr wehtun. Halt mich, Tristan, das überlebe ich nicht. Ich spüre die Schmerzen jetzt schon."